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Angeboren oder Anerzogen?

Die Frage, wie weit unser Verhalten angeboren oder eher durch Erziehung geprägt wird, beschäftigt die Gesellschaft schon sehr lange. Einigkeit darüber ist noch lange nicht hergestellt, was ja zumindest schon einmal dafür spricht, dass beide Einflussfaktoren wichtig sein dürften.

Die Molekularsoziologen sind in dieser Hinsicht auch noch nicht viel schlauer, zumindest wenn es um komplexe Moleküle mit wichtigen Funktionen geht, wie sie in den Lebenswissenschaften eine wesentliche Rolle spielen. Finden sich zwei Moleküle besonders anziehend, weil sie von vornherein besonders gut zueinander passen, wie der Deckel zum Topf? Oder ist es erst die gegenseitige Anpassung im Verlauf der Wechselwirkung, die zur engen und dauerhaften Bindung führt, wie ein Strumpf am Fuß?

Derzeit wird in Göttingen in Rahmen der Exzellenzinitiative ein sogenanntes Courant-Zentrum beantragt, in dem Nachwuchsforscher zusammen mit etablierten Molekularsoziologen solchen Fragen nachgehen sollen.

Bei kleinen Molekülen tappt man nicht mehr so sehr im Dunkeln. So wurde kürzlich gezeigt, dass das Alkoholmolekül durchaus bereit ist, von seiner Lieblingsstellung (trans) abzuweichen, wenn sich ein Wassermolekül seiner annimmt (siehe "Der kleinste Schnaps der Welt"). Aber es gibt auch andere Beispiele. So könnten zwei N-Methylformamid-Moleküle (das sind kleinste Modellsysteme für Eiweißmoleküle, siehe Bild) ganz hervorragend miteinander auskommen, wenn sie nur bereit wären, sich ein wenig zu verrenken (von trans nach cis). Aber weit gefehlt - keines der Moleküle ist in einer Überschallstrahlexpansion bereit, seine Lieblingsstellung aufzugeben. So bleibt die Bindung zwischen den beiden eher einfach und schwächlich. Egozentriker gibt es also auch unter Molekülen, und das sogar dann, wenn wie hier der Aufwand für die Anpassung weit geringer ist als der Bonus, der sich daraus für die Bindung ergeben würde. Ein klarer Fall von molekularer Trägheit, denn für die starke Bindung muss erst einmal eine Barriere überwunden werden. Manchmal ist man aber auch ganz froh, dass die Moleküle keine Anpassungsweltmeister sind. So können viele reale Eiweißmoleküle in unserem Körper nur funktionieren, weil sie sich gerade nicht aneinander anpassen und miteinander verklumpen, obwohl dies letztlich oft günstiger für sie wäre (siehe "Proteinfaltung - oder warum Introvertiertheit gesund sein kann").